Montag, 30. Juni 2014
Discounter kann nicht jeder boykottieren
Hallo liebe Leser.

Da ich immer mal wieder Zeitungsartikel kommentiere, und diese "Leserbriefe" dann mit Zeit untergehen, lege ich mir hier ein öffentliches Archiv für mich an. Vielleicht ist es ja für den ein oder anderen kritischen Zeitgenossen interessant, das zu verfolgen. Mehr nehme ich mir erstmal nicht vor.

http://www.tagesspiegel.de/berlin/neue-primark-filiale-in-berlin-am-alexanderplatz-glueck-und-traeume-fuer-fuenf-euro-stueckpreis/10119492.html

Mein Beitrag zum Artikel:

Mehr-Klassengesellschaft - auch beim Boykott!

Es gibt wohl mehrere "Klassen" von Konsumenten:

- Menschen mit gutem und sehr gutem Einkommen

- Menschen mit Niedrigeinkommen o. (EU)Niedrigrente - knapp über der Grenze für Bezuschussung vom Jobcenter (die oft noch weniger haben als Arbeitslosengeld 2 Empfänger, denn die bekommen keine Vergünstigungen bei Fahrkarten, Eintritt etc.) Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus!

- Arbeitlose und Rentner/Arbeitnehmer, die aufstocken

Dazu kommt die Unterteilung in Großstädter und denen, die nicht in einem Netz aus sozialen Angeboten eingebettet sind. Alle, die ausserhalb eines Ballungsraums leben, müssen oft viel Geld allein für Fahrtkosten aufwenden.
Das heißt, viele sind auf Billigläden oder Kleiderkammern angewiesen. Ich auch. Eine Jeans für 10 bis 15 € liegt in in meinem Budget.

So zu tun, als könne jeder etwas tun, ist Unsinn. Ich gehe nur noch zu Friseuren, die Mindestlohn zahlen. Ja, und? Das Geld fehlt mir an anderer Stelle. Also Billighose und Hemd beim (Lebensmittel-)Discounter. Die Mitarbeiter einiger Discounter hier in der BRD werden gut bezahlt, aber in den Produktionsländern sieht es anders aus.

@Josse
Theoretisch haben Sie recht. In der Praxis jedoch kann offensichtlich nicht jeder frei entscheiden, wo er kauft, ökonomische Zwänge lasten auf vielen Menschen.

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In Sachen Lebensmittel stimmt es sicher, dass nicht jeder den Discounter boykottieren kann. Ich war selbst in den letzten anderthalb Monaten arbeitslos und dann vor einer Unterbrechung auch noch einmal beinahe ein Dreivierteljahr, und in dieser Zeit habe ich jeden Cent umdrehen müssen. Es geht schon manchmal nicht anders, als günstig zu kaufen. Dennoch habe ich beispielsweise in dieser Zeit weitestgehend auf Fleisch verzichtet, weil ich nicht das billige Massenhaltungszeug kaufen wollte. Umgebracht hat es mich nicht.

Nun ist es nicht so, dass Primark, KiK und Konsorten alternativlos sind. Ganz besonders Primark, aber auch H&M und andere sind nicht so billig, weil sie eine weniger bemittelte Käuferschicht ansprechen wollen, sondern weil sie die Menschen dazu animieren wollen, viel zu kaufen. Natürlich sind Primarks Zielgruppe Teenager mit Taschengeldbudget, aber die können sich dann eben "dank" der Preise auch tütenweise Kleider kaufen, anstatt sich für nur ein Teil entscheiden zu müssen. Was Primark beim Preis den Arbeitern vom Munde abspart, holen sie über die schiere Masse wieder rein.

Es gibt Alternativen zu Primark und Co., und zwar auch für's kleine Portemonnaie. Second Hand oder Kringloopwinkel, Kleiderkreisel oder Tauschticket, Gebrauchtes von Ebay, Kinderkleiderbörsen und vor allem eines: Weniger Konsum.

Das ist nicht immer schön, weil (und das habe ich in der letzten Zeit am eigenen Leib erfahren), wer konsumiert, mit dazu gehört. Wir definieren uns zu einem erheblichen Teil über Konsum. Nicht mitmachen zu können, Trends nicht aufgreifen zu können, sich nichts spontan "gönnen" zu können ist schon ein blödes Gefühl. Andererseits wäre etwas Aufrichtigkeit angebracht. Die Kleider, die wir im Schrank haben, tragen wir doch viel öfter nicht mehr, weil sie nicht ganz topmodisch sind, ein Fehlkauf waren oder uns nie wirklich passten. Oder wir wollen einfach mehr Auswahl. Es ist angebracht, seine Kleidung gut zu pflegen und nicht nach Trend, sondern danach zu kaufen, ob sie gut zu einem (und zum Rest des Schrankinhalts) passt, und dann braucht man längst nicht so oft Neues, wie man zu glauben meint. Und schon gar keinen Billigfummel von Primark.

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